Ein Fall für Römer

Ehemaliger Bundesrichter schlichtet als Ombudsmann in Versicherungsfragen

Von Tatjana Braun
B esonnen schaut Wolfgang Römer ins Dunkel der Hotellounge in Kassel. Die Hände sind gefaltet. So, als schütze er etwas Wertvolles. „Ich will“, sagt der 67-Jährige entschlossen, „diese außergerichtliche Schlichterstelle so betreiben, dass sie in Deutschland zum Vorbild wird.“ Sein Ziel ist klar, der Weg dahin aber steinig. Denn Wolfgang Römer ist ein Pionier: Seit Oktober 2001 hält der Jurist das Amt des ersten Ombudsmann in der Versicherungsbranche inne. Immer, wenn ein Verbraucher strittige Vertragsfragen nicht vor Gericht ausfechten will, beginnt für Römer die Arbeit.

Die Idee des Ombudsmanns stammt aus Norwegen und ist 200 Jahre alt. Der Behördenmann, so die wörtliche Übersetzung, sollte mit seinem Schiedsspruch Unmut abfangen, der bei den Bürgern durch ungerechtfertigte Eingriffe des Staats entstanden war.

Vor zwölf Jahren hätte Römer wohl keinen Mantelknopf darauf verwettet, einmal in Versicherungsfragen zu schlichten. Als der gebürtige Düsseldorfer 1990 zum Vierten Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) kam, kannte er sich nur im Banken- und Aktienrecht aus. „Vom Versicherungsrecht hatte ich keinen blassen Schimmer.“

Doch er fuchste sich rein. Mittlerweile ist es seine Leidenschaft. Neben den „spannenden Versicherungsfragen“ lernte Römer aber auch die Schwächen in der Praxis kennen. „Zum Beispiel, wie wehrlos Verbraucher oft gegen die Rechtsabteilungen der Konzerne sind.“ Dieses Ungleichgewicht abzubauen, dafür kämpfte er oft mit schlagkräftigen Argumenten: In seiner Zeit schrieb der BGH Firmen beispielsweise vor, Verträge verständlich zu formulieren und verbot mehrere Klauseln, die Leistungen einschränkten.
So eilte ihm der Ruf voraus, ein Verbraucherfreund zu sein. Dennoch oder gerade deshalb wählte ihn die Branche zu ihrem Schlichter. Für fünf Jahre. „Ein kluger Schachzug“, meint Römer, „so war das Amt für beide Seiten von Beginn an glaubwürdig.“ Bezahlt wird er zwar von den Versicherern. „Ich halte mich aber für neutral, sonst hätte ich das nie gemacht.“
Vorbilder hatte Römer keine. Nur Fantasie, Durchsetzungsvermögen und Fingerspitzengefühl. „Außerdem“, fügt der Jurist schmunzelnd hinzu, „kann ich meine Entscheidungen in einem Deutsch erklären, das jeder versteht.“
Nach zwei Jahren im Amt zieht der Ex-BGH-Richter eine erste Bilanz: „Ich bin kein Missionar oder Weltveränderer. Aber ich habe es geschafft, die Schlichterstelle als Alternative zum Gerichtsstreit zuetablieren.“ Der anfängliche Widerstand in den Konzernen sei fast dahingeschmolzen. Und die Verbraucher nutzen ihn: 18.000 Beschwerden sind eingegangen, plus 2.000 Anfragen. 30 Prozent aller Beschwerden betreffen die Lebensversicherung, nur acht Prozent die weit verbreitete Hausratsversicherung.

Mit ausgeklügelten Zügen, die der Honorarprofessor in Tübingen seinen Studenten in der Lehre abverlangt, muss er als Schlichter niemanden mehr schachmatt setzen. Dagegen ist schlichtes Handwerkszeug gefragt. Langeweile? Die kennt der Fan moderner Malerei nicht. „Wäre es so, ginge ich wirklich in den Ruhestand,“ Doch der Gedanke ist ihm fremd. Ausdauernd sei er, sagt der Pionier zum Abschied. Und ehrgeizig.

Quelle:
HNA, Hessische Allgemeine,
23. Oktober 2003